Dienstag, 3. März 2020

SOLIDARITÄT-Extrablatt zu ThyssenKrupp

Die Sozialistische Organisation Solidarität (Sol) hat ein Extrablatt der Zeitung SOLIDARITÄT zur Auseinandersetzung bei ThyssenKrupp herausgegeben. Es wird in den nächsten Tagen an Werken in Bochum und Duisburg verteilt, die von Schließung bedroht sind.

Mit dem Extrablatt soll den Kolleg*innen Solidarität ausgedrückt und ein sozialistisches Programm für den Erhalt aller Werke und Arbeitsplätze sowie die Überführung des Konzerns in öffentliches Eigentum unter demokratischer Kontrolle und Verwaltung der arbeitenden Bevölkerung präsentiert werden. Zudem wird erklärt, warum die Gewerkschaften mit der Politik des Co-Managements brechen und die Kolleg*innen aktiv in die Verteidigung ihrer Zukunft einbeziehen sowie den Schulterschluss aller von Entlassungen bedrohten Belegschaften vollziehen müssen. Außerdem ist ein Text über den Arbeitskampf im Krupp-Stahlwerk in Duisburg-Rheinhausen enthalten, der auch heute noch als Beispiel entschlossener gewerkschaftlicher Gegenwehr, aber auch tragischer Niederlagen gilt.

Wenn du unsere Kampagne unterstützen willst, lade dir die Druckvorlage (4 Seiten A4 oder 2 Seiten A3) herunter und verteile es an der Arbeit oder in deinem Umfeld. Außerdem kannst du unsere Unterschriftenliste einsetzen. Und nimm Kontakt zu uns auf und komm zu unseren Treffen, wenn du mit uns aktiv werden willst.

Inhalt:




IGM in die Offensive – Erhalt aller Werke und Arbeitsplätze!

Hände weg von Löhnen, Tarif- und Sozialleistungen
Großaktionäre enteignen → TK in öffentliche Hand


„11.000 Euro am Tag – wofür? Dass sie labern und sich auf die Schulter klopfen. Die machen sich die Taschen dick auf unsere Knochen.“ – „Da kommt einer nach dem anderen für ein Jahr, baut nur Scheiße, steckt sich die Millionen ein und ist dann wieder weg.“ – So machten Kollegen nach der Betriebsversammlung des Duisburger Grobblechwerks ihrer Wut auf den Konzernvorstand Luft.

Nachdem im letzten Geschäftsjahr keine Dividende an die Aktionäre ausgeschüttet wurde, hat sich der Vorstand um Martina Merz ein Ziel gesetzt: Die Profite der Großaktionäre gnadenlos zu sanieren – auf dem Rücken der Belegschaft.

Die Aufzugssparte (Elevator) mit rund 50.000 Beschäftigten wurde gerade an Finanzinvestoren verkauft. Mehrere Werke sollen geschlossen werden: In Bochum (1.200 Arbeitsplätze), Duisburg (800), Varel (200) sind Schließungen angekündigt. Weitere drohen: 6.000 Arbeitsplätze will der Konzern im Rahmen seiner Strategie #newtk in nächster Zeit vernichten. Zu­kunftsängste treiben die Kolleg*innen um. Neben Arbeitslosigkeit drohen Angriffe auf Löhne, Tarif- bzw. Sozialleistungen und Arbeitszeiten sowie steigende Arbeitshetze.

Die Milliarden aus dem Elevator-Deal sollen Spielraum für die Sanierung bieten. Aber nicht nur Managementfehler (Stichwort: Tata-Deal) und Investitionsstau bedrohen die Zukunft der Beschäftigten. Die kapitalistische Weltwirtschaft steht vor einer ausgewachsenen Krise, welche die in den Jahren nach 2007 womöglich in den Schatten stellt. Alle Lippenbekenntnisse, die Konzernsanierung „sozialverträglich“ durchzuziehen, sind im Krisenfall nichts mehr wert.

Jetzt ist die Zeit für entschlossene ge­werkschaftliche Gegenwehr. Und zwar nicht nur auf der Ebene von Gesprächen mit dem Vorstand!

Die Macht der Gewerkschaft liegt nicht darin, dass sie ihre Vertreter*innen in den Aufsichtsrat entsenden „darf“ oder das Vorschlagsrecht für den Arbeitsdirektor im Konzernvorstand hat. Im Gegenteil: Leute wie der ehemalige IGM-NRW-Bezirksleiter Burkhard, der auf seinem Vorstandsposten 4,2 Millionen Euro im Jahr (bzw. 11.000 Euro am Tag) kassiert, stehen dem Kapital deutlich näher als der Belegschaft. Dass das Kapital überhaupt bereit ist, die Gewerkschaft einzubeziehen, liegt an der enormen potenziellen Macht der organisierten Kolleg*innen, im Arbeitskampf den ganzen Konzern aus den Angeln zu heben. Die spontanen Proteste vor dem Duisburger Grobblechwerk haben den Vorstand gezwungen, seine Schließungsdrohung auf 2022 zu verschieben. Dabei haben die Kolleg*innen nur mit den Muskeln gespielt.

Was wäre möglich, wenn es eine entschlossene gewerkschaftliche Offensive mit Streiks und Betriebsbesetzungen gegen alle geplanten Entlassungen und Werksschließungen gäbe?





Grußwort von Jan Horsthemke und Julian Koll, verdi-Vertrauensleute bei der Stadt Dortmund*


Liebe Kolleginnen und Kollegen,

wir möchten euch unsere solidarischen Grüße übermitteln und euch für die Auseinandersetzung mit der Spitze von ThyssenKrupp viel Kraft, Ausdauer und Erfolg wünschen.

Es ist schlicht ein Skandal, dass tausende Existenzen aufs Spiel gesetzt werden, während sich der Vorstand und die Aktionäre, trotz dramatischer Fehlinvestitionen, auf eure Kosten jahrelang bereichert haben.

Als aktive Gewerkschafter wissen wir, dass nur eine geschlossene und kampfbereite Belegschaft den Angriffen der Bosse Paroli bieten kann. Die IG Metall muss konkrete Kampfmaßnahmen vorbereiten und durchführen, um eure Jobs zu sichern und den verschiedenen Werken eine Zukunft zu ermöglichen.

Nehmt das Geschehen selbst in die Hand und lasst nicht weiter die Konzernführung über euer Schicksal entscheiden!

* Angabe der Funktion dient der Kenntlichmachung der Person.





Kapitalismus in der Krise

Gemeinsamer Kampf gegen Massenentlassungen notwendig


Die kapitalistische Weltwirtschaft steht vor einer Krise. Es ist klar, wer für die Kapitalisten die Zeche zahlen soll: die arbeitende Bevölkerung. Sozialkahlschlag und Massenentlassungen stehen an. Dagegen müssen wir uns gemeinsam wehren.

Weil kapitalistische Unternehmen in Konkurrenz zueinander stehen und chaotisch gegeneinander wirtschaften, gibt es Überproduktion. Diese führt regelmäßig zu Krisen. Die einzige Rettung aus Sicht der Kapitalisten: Vernichtung von Produktionskapazitäten und Arbeitsplätzen. Dass das deutsche Wirtschaftswachstum 2019 von 1,5 auf 0,6 Prozent sank und Exporte zurückgingen, deutet auf den Beginn einer solchen Krise hin. Ereignisse wie Coronavirus, Klimawandel oder Kriege können als Brandbeschleuniger wirken.

Seit Monaten bereiten sich die Bosse mit Kurzarbeit und Entlassungen auf die Krise vor: 900 Entlassungen bei Michelin, 20.000 bei Continental, 1.500 in der Dillinger Stahlhütte im Saarland, je 6.000 bei ThyssenKrupp und BASF, zehntausende bei verschiedenen Banken …

Belegschaften dürfen sich nicht gegeneinander ausspielen lassen! Die Gewerkschaften müssen international Solidarität und Erfahrungsaustausch sowie gemeinsame Diskussionen über Kampfmaßnahmen zwischen allen von Entlassungen bedrohten Belegschaften organisieren und ihre Kämpfe zusammenführen, etwa durch Konferenzen, Großdemonstrationen und gemeinsame Streiks.

Wenn bei ThyssenKrupp Arbeitsplatzvernichtung droht, liegt das auch, aber nicht nur am individuellen Versagen der Konzernführung. Die tiefere Ursache ist das kapitalistische System, in dem die Profite der Kapitalisten in Widerspruch zu den Interessen von Mensch und Natur stehen. Der Kampf gegen Entlassungen und Werksschließungen braucht eine sozialistische Perspektive, wenn wir unsere Zu­kunft nachhaltig sichern wollen.





ThyssenKrupp verstaatlichen!

Öffentliches Eigentum und Wirtschaftsplanung in der Metallindustrie


Als Sol setzen wir uns dafür ein, dass alle großen Unternehmen und Banken aus den Händen privater Eigentümer und Großaktionäre herausgenommen und in öffentliches Eigentum überführt werden. Auch die IG Metall fordert in ihrer Satzung: „Überführung von Schlüsselindustrien und anderen markt- und wirtschaftsbeherrschenden Unternehmungen in Gemeineigentum“ (§ 2.4). Was aber soll sich für die Beschäftigten dadurch verbessern, dass Wirtschaftseigentum staatlich statt privat ist?

Wenn wir von öffentlichem Eigentum sprechen, meinen wir nicht einfach einen juristischen Eigentümerwechsel. Wir wollen die demokratische Kontrolle und Verwaltung der Unternehmen durch die Beschäftigten, die in ihnen arbeiten. An Konzernen wie ThyssenKrupp hängen zehntausende Arbeitsplätze und unzählige weitere in weiterverarbeitenden Industrien. Sie sind der Grundpfeiler der Volkswirtschaft. Wieso sollte über Investitionen oder Einsparungen eine kleine Gruppe von Kapitalisten entscheiden? Was mit Unternehmen wie ThyssenKrupp passiert, betrifft die gesamte Gesellschaft – und sollte auch von der gesamten Gesellschaft bestimmt werden. Man kann aber nur über Dinge entscheiden, die einem auch gehören. Daran ändert sich auch dann nichts, wenn sich einzelne Investoren, wie im Fall der jüngst veräußerten Aufzugsparte, den Stempel „fair und best owner“ verpassen lassen.

Jederzeit demokratisch wähl- und abwählbare sowie rechenschaftspflichtige Vertreter*innen von Belegschaft, Gewerkschaft und Staat sollten die operative Leitung von ThyssenKrupp übernehmen. Statt für einen unsicheren Markt und die Profite weniger Kapitalisten zu produzieren, sollten Stahlerzeugung, Aufzugsproduktion usw. am konkreten Bedarf der Gesellschaft orientiert werden. Der wäre leicht zu ermitteln, wenn sich alle Grundstoffindustrien und Zulieferer in öffentlicher Hand befänden und die arbeitende Bevölkerung demokratisch in die Produktion einbezogen würde. Vorausschauende Planung in den verstaatlichten zentralen Wirt­schaftszweigen würde plötzliche Marktschwankungen, Massenentlassungen und Schließungen effektiv verhindern. Verbesserungen in der Produktion könnten für Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohn- und Personalausgleich genutzt werden, statt zu Arbeitslosigkeit zu führen.

Konzerne wie ThyssenKrupp den Profitinteressen privater Investoren zu entreißen, in öffentliche Hand zu bringen und im Rahmen demokratischer Planung zu führen, wäre die einzige wirklich dauerhafte Lösung, um Arbeitsplätze und Betriebe zu sichern.
Während die ersparten Einlagen aller Klein- und Belegschaftsaktionär*innen gesichert werden müssen, sollten Großinvestoren nur bei erwiesener Bedürftigkeit entschädigt werden.






Sol fordert:

  • Weg mit #newtk – keine Konzernsanierung auf dem Rücken der Beschäftigten. Merz & Co. ohne Abfindung entlassen. Offenlegung der Geschäftsbücher
  • Verkauf von Anlagenbau und Aufzugssparte stoppen. Keine Schließung von Standorten
  • Kein Lohnverzicht. Offensive Lohnforderung und 30-Stunden-Woche bei vollem Lohn- und Personalausgleich in der kommenden Tarifrunde
  • IG Metall in die Offensive: Kampf um jeden Arbeitsplatz statt Co-Management, faulen Kompromissen und Postengeschacher
  • Regelmäßige Versammlungen der IGM an allen Standorten, Beschlussfassung über Kampfmaßnahmen durch die Basis
  • Konzernweiter Streiktag an allen Standorten mit Großdemonstration vor der Hauptverwaltung in Essen
  • Vorbereitung eines konzernweiten unbefristeten Streiks im Falle konkreter Entlassungsankündigungen, bis alle Entlassungen vom Tisch sind
  • Breite Solidaritätskampagne in der Öffentlichkeit für die Beschäftigten von ThyssenKrupp und alle von Entlassungen bedrohten Belegschaften. Gegenseitige Unterstützung und Austausch von Kampferfahrungen
  • Großaktionäre enteignen, Entschädigung nur bei erwiesener Bedürftigkeit. Schutz aller Klein- und Belegschaftsaktionär*innen. Garantie aller Löhne, Sozialleistungen, Pensionen und Betriebsrenten
  • ThyssenKrupp in öffentliches Eigentum. Demokratische Kontrolle und Verwaltung durch gewählte Vertreter*innen von Belegschaft, Gewerkschaften und Staat
  • Überführung der Banken und Konzerne in öffentliches Eigentum bei demokratischer Kontrolle und Verwaltung durch die arbeitende Bevölkerung
  • Statt Konkurrenz und Produktion für den Profit – demokratische und nachhaltige Planung der Wirtschaft entsprechend der Bedürfnisse von Mensch und Umwelt
  • Für sozialistische Demokratie weltweit





Für kämpferische Gewerkschaften!

Co-Management taugt nichts


Die Vernetzung für kämpferische Ge­werkschaften (VKG) ist ein Zusam­menschluss von Kolleg*innen aus verschiedenen Branchen und Betrieben. Im Januar gab es eine erste Konferenz, auf der mehr als 150 Kolleginnen und Kollegen über eine kämpferische Ausrichtung der Ge­werkschaftspolitik diskutierten.

Angelika Teweleit, Sprecherin der VKG* und gewerkschaftspolitische Sprecherin der Sol

Die Anwesenden waren sich einig, dass gerade in wirtschaftlichen Krisenzeiten die Rezepte des so genanntem Co-Managements nicht taugen, um Arbeitsplätze und Löhne zu verteidigen. Die Bosse der großen Konzerne sind darauf aus, die Lasten der Krise auf die Beschäftigten abzuladen.

Gegen die Ankündigungen von Sparpaketen, Schließungen, Entlassungen helfen keine Verzichtsvereinbarungen. Im Gegenteil. Der aktuelle Vorstoß der IG-Metall-Führung, die Bosse um ein Moratorium für einen Zukunftspakt zu bitten und dabei auf konkrete Lohnforderungen in der Tarifrunde in der Metall- und Elektroindustrie zu verzichten, wird die Bosse ermuntern, noch mehr Forderungen nach Verzicht an die Gewerkschaftsführungen und Betriebsräte zu stellen. Es gibt viele Beispiele dafür, dass auch Vereinbarungen für Zukunftssicherung nicht das Papier wert sind, auf dem sie stehen, wenn die Konzernleitung entscheidet, dass massiv abgebaut werden muss.

Deshalb muss ganz im Gegenteil eine ge­werkschaftliche Strategie her, wie durch Streikmobilisierungen die Stärke von Belegschaften deutlich werden kann. Außerdem ist es nötig, sich aus der Zwangsjacke der Unternehmenslogik zu befreien. Der Job der Gewerkschaftsführungen und Betriebsräte darf nicht sein, sich den Kopf über sinkende Renditen von Großaktionären zu machen. Sie sollten offensiv die Forderung nach einer 30-Stunden-Woche bei vollem Lohn- und Personalausgleich aufstellen. Das in der IG-Metall-Satzung verankerte Ziel der Überführung von Schlüsselindustrien in Gemeineigentum sollte endlich wieder aus den Schubladen hervor geholt werden. Wenn Konzernbosse Arbeitsplätze vernichten, gehören sie enteignet. Es gibt genug sinnvolle Produkte, die mit den bestehenden Anlagen im Interesse der Masse der Bevölkerung hergestellt werden können und müssen.

* Angabe der Funktion dient der Kenntlichmachung der Person.






Montanmitbestimmung

Ruhigstellung durch Einbindung


Bei der 1951 eingeführten Montanmitbestimmung für Bergbau und Stahlindustrie haben Anteilseigner und Beschäftigte die gleiche Zahl von Vertreter*innen im Aufsichtsrat. Zusätzlich gibt es einen „neutralen“ Vertreter. Der Arbeitsdirektor im Vorstand kann nicht gegen den Willen der Arbeitnehmervertreter*innen bestellt werden. Das ist meist ein Ge­werkschaftsfunktionär. Die Montanmitbestimmung hat die Schließung von Zechen und Stahlbetrieben, die Vernichtung hunderttausender Arbeitsplätze und die Verarmung des Ruhrgebiets nicht verhindert. Aktuell sollen bei ThyssenKrupp wei­tere 6.000 Arbeitsplätze vernichtet und in Bochum ein ganzes Stahlwerk geschlossen werden. Stellvertretender Aufsichtsratsvorsitzender ist IG-Me­tall-Sekretär Markus Grolms. Arbeitsdirektor ist Oliver Burkhard. Er war bis 2012 Bezirksleiter der IGM in NRW. Er sagte gegenüber dem Stern: „Betriebsbedingte Kündigungen wollen wir vermeiden, sind aber in Ausnahmen möglich.“ Das zeigt, dass Gewerkschafter*innen, die in Aufsichtsräten sitzen, Entscheidungen im Profitinteresse der Konzerne und gegen die Interessen der Beschäftigten treffen. Diese von den Belegschaften ge­wählten Aufsichtsräte empörten sich nicht über die 52 Milliarden, die dieses Jahr als Dividenden an die Geschwister Quandt, an den Porsche-Piech-Clan und all die anderen reichen und superreichen Aktionäre der DAX-Konzerne ausgeschüttet wurden.

Dies ist ein Auszug des Artikels „Gemeineigentum statt Belegschaftsaktien“ aus dem Sol-Magazin „sozialismus heute“.





„Streiken wie in Rheinhausen“

1987/88: 173 Tage Arbeitskampf und Solidarität


Am Rande der Betriebsversammlung des Grobblechwerks Duisburg-Hüttenheim am 18. Februar kommentierte ein junger Kollege unser Flugblatt: „Ja, man müsste streiken wie damals in Rheinhausen.“ Was geschah damals in Rheinhausen, das bis heute noch eine Strahlkraft auf junge Leute hat?

Die Betriebsräte erfuhren am 26. November 1987 von den Plänen des Krupp-Konzerns, das Werk in Rheinhausen bis August 1988 zu schließen. Es standen mehr als 6.000 Arbeitsplätze auf dem Spiel und die Betriebsräte fackelten nicht lange: Am Tag darauf legten alle drei Schichten ihre Arbeit nieder. Auch am 28. und 29. November stand die Produktion still. Für den 30. November wurde eine außerordentliche Betriebsversammlung einberufen. Es kamen 10.000 Teilnehmer*innen, von denen mindestens 4.000 keine Werksangehörigen waren.

Die Belegschaft entschied sich für eine „stille Besetzung“. In einem „on-off“-Verfahren lief die Produktion unter der Kontrolle der Stahlkocher weiter. Das Werk stand unter Kontrolle der Arbei­ter*innen. Die Belegschaft teilte selbst Notbesetzungen ein und entschied darüber, ob und wann produziert wird. Sie öffnete auch die Werkskantine, in der von da an das Bürgerkomitee tagte. 800 bis 1.000 Leute nahmen an den Sitzungen des Bürgerkomitees teil, die zwei Mal in der Woche abgehalten wurden. Ganz Rheinhausen kämpfte mit den Arbeiter*innen für den Erhalt der Arbeitsplätze. Aber nicht nur Rheinhausen stand an der Seite der Arbeiter*innen – eine Welle der Solidarität schwappte durch das ganze Ruhrgebiet, die in einem regionalen Generalstreik, bei dem 200.000 Menschen die Infrastruktur im Ruhrgebiet lahmlegten, münden sollte. Im Januar gingen 15.000 Schüler*innen für den Erhalt der Arbeits­plätze ihrer Eltern und ihre Zukunft auf die Straße.

Auf dem IGM-Gewerkschaftstag 1983 war die Vergesellschaftung der Stahlindustrie beschlossen und später in dem sogenannten stahlpolitischen Programm konkretisiert worden. Immer wieder wurde von den Linken in der IGM bis hin zu Hans Janssen (1977-86 im Hauptvorstand) gefordert, den Kampf in Rheinhausen mit dem Kampf für die Überführung der Stahlindustrie in Gemeineigentum zu verbinden. Die IGM-Führung ig­norierte dies, tat nichts, um den Kampf auszudehnen und brachte ihre Variante des „sozialverträglichen“ Arbeitsplatzab­baus ins Spiel.

Im Mai 1988 endete die Auseinandersetzung um Rheinhausen nach 173 Tagen. Wenn auch der Kampf um Stahlwerk und Arbeitsplätze verloren ging, so war er dennoch nicht umsonst. Ohne Kampf wäre das Stahlwerk fünf Jahre früher geschlossen worden und hätten die Stahlkocher von Rheinhausen nicht einen der besten Sozialpläne in der Nachkriegsgeschichte bekommen. Aus Angst vor einer Eskalation des Kampfes machten die Stahlbosse in der Tarifrunde '88 trotz Stahlkrise bereits nach ersten Warnstreiks Zugeständnisse. Die Kumpels im Bergbau und die Kolleg*innen von Opel Bochum wurden durch den Kampf in Rheinhausen bei den Auseinandersetzungen in ihren Betrieben vorübergehend gestärkt und erhielten ebenfalls Zugeständnisse.

Ausführlicher Artikel zum Thema: www.solidaritaet.info/2007/11/vor-20-jahren-aufruhr-in-rheinhausen/





Sol aktiv bei ThyssenKrupp


Seit Dezember sind Sol-Mitglieder vor den Werkstoren und bei Kundgebungen, um den von Arbeitsplatzvernichtung bedrohten Kolleg*innen Solidarität auszudrücken und ein sozialistisches Programm für den Kampf um jeden Arbeitsplatz anzubieten. Außerdem informieren wir an unseren Arbeitsplätzen, in Gewerkschaften, LINKE und Linksjugend sowie öffentlich über die Auseinandersetzung und sammeln Unterschriften zur Unterstützung der Belegschaft. Nimm zu uns Kontakt auf, wenn du dich beteiligen möchtest!

Politische Arbeit kostet Geld. So kostet uns der Druck dieses Extrablattes pro Verteilungstermin etwa 15 Euro. Da wir uns mit den Reichen und mit den Banken und Konzernen anlegen, erhalten wir keine Großspenden. Wir finanzieren uns ausschließlich durch Mitgliedsbeiträge, den Verkauf politischer Schriften und durch Spenden unserer Sympathisant*innen. Wenn du uns unterstützen willst, kannst du uns deine Spende unter dem Verwendungszweck „Sol Bochum“ überweisen. Jeder Euro zählt!

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